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Hof Jobstharde (heute Niederlag)
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Unterwüsten Nr. 13 |
Ein Besuch auf Jobsthardes Hof in Wüsten
Von van Randenborgh[1] |
Dieses kleine Dorf, das da im lieblichen Tale vor uns liegt,
hineingebettet in frisches Grün und erste zaghafte
Baumblüte, war einst der Mittelpunkt der Lipper
Erweckungsbewegung. Dahin pilgerten vor etwa 100 Jahren
viele fromme Bauern aus Westfalen und Lippe, aber auch
Pfarrer, Missionare und Kandidaten der Theologie aus
Ravensberg, Württemberg, ja aus Berlin, wie der Sohn des
Professors Hengstenberg[2] und des Generalsuper-intendenten
Sartorius[3]. Ihr Ziel war das gleiche wie das unsere an diesem
wunderbaren, von neuen Lebenskräften erfüllten Ostermorgen. |
An der Landstraße liegt in Frieden und Feiertagsstille ein
Bauernhaus, beschattet von alten Bäumen, umgeben vom bunt
blühenden Bauerngarten, still ruhendem Weiher und Baumhof,
das sich äußerlich zunächst kaum von anderen unterscheidet.
Aber wenn man durch die große Deelentür in das Haus
eintreten will, so sieht man über der Tür in heller Schrift
den Spruch gemalt: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe
an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu
dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und
er mit mir" (Offb. Joh. 3,20). Die Tür ist an den Seiten mit
Reben und Weintrauben ummalt, die an die Worte Jesu
erinnern: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in
mir bleibet und ich in ihm, der bringet viele Frucht." "Wen
da dürstet, der komme zu mir und trinke." |
Über der Kammertür, die zum Garten führt, steht der Vers:
"Wer aus- und eingeht durch die Tür, der soll gedenken für
und für, daß unser Heiland Jesus Christ, die rechte Tür zum
Himmel ist." |
Der Erbauer des Hauses, der lippische Bauer Jobstharde[4], hat
die Sprüche über die Türen setzen lassen und gleichzeitig
damit bezeugt, welche Lebenskräfte und Gewalten in seinem
Hause herrschen sollten und tatsächlich geherrscht haben.
Denn er und sein Haus dienten dem Herrn Christus, ihm ganz
allein, im Leben und im Sterben. |
Wir treten durch die Tür auf die große, sonntäglich
aufgeräumte und saubere Deele, an deren beiden Seiten die
Ställe für das Vieh liegen. Hier wurden Erntedankfeste und
Missionsfeste gefeiert, hier haben Tausende von Menschen dem
lebendigen Zeugnis von Christus gelauscht, hier wurden die
Lieder aus dem alten lippischen Gesangbuch gesungen, hier
spielten die Posaunenchöre der Jünglingsvereine. Heute ist
die Deele leer, an beiden Seiten stehen friedlich Pferde und
Kühe, nur der Bauer und die Bäuerin sind zu Haus, im
Begriff, in die Kirche zu gehen. |
Sie führen uns in die große Stube, in der
einst die Holzbänke an den Fenstern entlang liefen, und in
der man sich zu den sonntäglichen Erbauungsstunden
versammelte. Es war die Zeit, da die "Stillen im Lande"
einander suchten und fanden und im Gegensatz zu einem toten
rationalistischen Christentum, das die Tugend pries und nur
die Vernunft gelten ließ, sich der Verheißungen Gottes in
seinem Worte für ihr Leben und Sterben getrösteten und ihr
Heil und ihre Seligkeit allein auf Christus und sein Blut
gründeten. |
Jobstharde[5] besaß einen großen Schatz, das
war eine alte Postille von Fresenius[6], aus der las er
Sonntags nachmittags vor, dann betete er schlicht und herzandringlich, meistens plattdeutsch, aber dabei so
geisterfüllt und gewaltig, daß jeder den Eindruck hatte, in
diesem Manne sei Gottes Geist in besonderer Kraft wirksam
und lebendig. |
Das hatte seinen Grund darin, daß er so im
Worte Gottes lebte und von ihm geleitet zu Gott sprach.
Jobstharde hatte eines Tages Pfarrer Krüger[7], der ihn
konfirmiert hatte, in seiner neuen Gemeinde besucht. Der
hatte ihm Arnds "Wahres Christentum"[8] mitgegeben. Auf dem
Rückweg setzte er sich auf einen Stein und begann darin zu
lesen. Das Buch packte ihn und wurde ihm zum Anstoß, das
Heil zu suchen. Schwere innere Kämpfe quälten ihn, von
Schwermut wurde er verfolgt, bis er endlich zum Frieden kam,
und das Wort Gottes, das Gericht gewesen war, ihm Trost und
Seligkeit wurde. Er saß über dem Worte Gottes "wie der
Bräutigam über den Briefen der Braut". Ein Bibelwort nach
dem anderen wurde ihm lebendigste persönliche Erfahrung.
Darum konnte er später so viele Stellen nach Buch, Kapitel,
Vers immer genau angeben. Er hatte eine Bibelkenntnis, um
die ihn mancher Theologe beneiden konnte. Er las betend, wie
überhaupt sein ganzes inneres und äußeres Leben vom Gebet
geleitet wurde. |
Die Bäuerin, Jobsthardes Schwiegertochter[9],
zeigt uns nun einen flachen, unscheinbaren Koffer. An diesem
Koffer hat Jobstharde Mitternacht für Mitternacht kniend
gebetet, auch bei der schärfsten Kälte. Alle seine Anliegen
brachte er an dieser Stelle vor Gott. Hier gedachte er auch
seiner Freunde und der vielen, die sonst noch seine Fürbitte
begehrten. Und sie haben es bezeugt, wie sie die Kraft
seiner Gebete verspürt haben. |
Wir sehen das kurze, breite,
handgeschnitzte Bett des alten Bauern, von dem er Nacht für
Nacht zu treuem, ernstem Gebete aufstand. Hier hat er auch
seinen schweren Todeskampf gekämpft, hier hat er unzählige
Menschen auf seinem Kranken- und Sterbelager noch getröstet,
ermahnt, gesegnet. Zuletzt wollte er ganz allein sein mit
seinem Gott, der ihn in dieser Zeit besonders nahm, wie er
zu sagen pflegte. Als er keine Luft mehr kriegen konnte,
ließ er sich an die offene Tür seiner Schlafkammer, die zum
Garten führte, auf Stroh betten, damit er in frischer Luft
läge. Die Schwiegertochter, die erste Frau seines Sohnes,
pflegte ihn mit stiller und sanfter Hand. Niemand konnte ihn
so gut umbetten wie sie. Ein Freund, der es sich von Gott
erbeten hatte, in der Sterbestunde bei ihm zu sein, kam in
letzter Stunde von weither gewandert, ohne menschliche
Benachrichtigung, von innerer Unruhe getrieben, und traf ihn
gerade noch lebend an. In tiefem Frieden schlief Jobstharde
am 5. Juni 1858 ein. |
Etwa zweitausend Menschen waren bei seiner
Beerdigung. Jobstharde hatte Bekannte und Freunde nicht nur
in Westfalen und Lippe, sondern auch sonst in Deutschland
und in der weiten Welt. Briefe schrieb er nicht, aber man
kam und besuchte ihn, den innigen Gottesmann, und er ging in
die Dörfer, die ihn baten, zu ihm zu kommen, und legte in
Pyrmont, wo er öfter zur Kur weilte, im Walde das Wort
Gottes aus, so daß ihm Freunde und Fremde zuhörten. Er wurde
eingeladen von Grafen und hohen Herren. Das alles machte ihn
nicht hochmütig, er blieb der einfache, schlichte Bauer, der
sein Feld bestellte. |
Er wollte der "Kleinste im Himmelreich"
sein, nichts weiter, und war darum größer als große und
gewaltige Herren. Sein Hof liegt schlicht und einfach im
lippischen Lande auf grünem Hang, und war gesegneter und
bedeutungsvoller als Schlösser und Königshäuser. Denn Ströme
von Segen gingen von der geistgewirkten Kraft dieses Bauern
in das lippische Land und nach Ravensberg und weiter in die
Welt hinein, in die Herzen der Menschen, in Häuser und
Familien, und damit ganze Geschlechter hinein. |
Im stillen Frieden des
Ostermorgens liegt das Bauernhaus, an der einen Seite vom
Garten begrenzt, in dem die ersten Frühlingsblumen
aufgeblüht sind. Mit Buchsbaum eingefaßt sind die schmalen
Wege, die auf eine Laube zuführen: der Garten der Bäuerin. |
Wenn die Schweine des Nachbarn
in diesen Garten einbrachen und ihn zertrampelten, so hat
die Bäuerin doch wohl ein Recht, böse zu werden? Jobsthardes
Frau[10] kam denn auch jammernd und scheltend zu ihrem Mann und
klagte den Nachbarn an. Aber Jobstharde sagte nur: "Frau,
bist du in der Lage, ein Wort zu hören?" Und als die Frau
nach ihrem Zornnesausbruch betreten ja sagte, meinte er:
"Unser ganzer Hof - und es ist ein schöner, großer Hof - ist
nicht die Sünde wert." |
Der Bauer Jobstharde lebte so
in Gottes Willen, daß ihm sein irdischer Besitz, den er mit
größter Treue verwaltete, gar nichts war im Vergleich zu dem
ewigen Erbe, der Gemeinschaft mit Gott im Reiche der Himmel. |
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Wir stehen auf dem Friedhof
des Dorfes neben der Kirche. Weithin sieht man ins lippische
Land, auf grüne Wiesen, die sich senken und wieder
ansteigen, auf Gehöfte und rotbe-dachte, von Bäumen
umstandene Häuser. In den mit Blumen geschmückten Gräbern
liegen die Toten und predigen von der Vergänglichkeit alles
Irdischen und vom Tod. Hier liegt auch der Bauer Jobstharde.
Sein Grabstein wuchtet schwer inmitten der Frühlingspracht
der Blumen und der Sonne auf grünem Rasen. Der Stein trägt
die Inschriften: "Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr
meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt" (Joh.
13, 35). "Lasset uns Gutes tun und nicht müde werden; denn
zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören" (Gal.
6, 9). "Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan
werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem
Buch des Lebens" (Offb. 3, 5). |
Und das Wort Gottes predigt an
diesem Ostermorgen den Sieg des Lebens über den Tod. |
Grabstein von Johann Bartold Jobstharde,
dem Führer der Lipp. Erweckungsbewegung. |
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Quellen: |
Der Artikel wurde dem
Buch "Lippisches Heimatbuch" Verlag Fritz Priester, Detmold,
1940, Seite 34ff, entnommen. |
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1 van Randenborgh |
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2 Professors Hengstenberg |
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3 Karl Gottlieb Satorius,
gebürtig aus Kurhessen, examiniert in Marburg und Kassel,
wurde Lehrer an der Töchterschule in Detmold und 1855 lipp.
Landeskandidat. 1856 Pastor in Uflen, wo er am12. September
1868 starb. |
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4 Johann Bartold Jobstharde
ist Erbauer des heutigen Bauernhauses (s. 5) |
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5 Johann Bartold Jobstharde,
Führer der Lippischen Erweckungsbewegung, geb. 17. Juli 1797
in Wüsten auf dem Hof seines Vaters, Unterwüsten Nr. 13,
gest. 5. Juni 1858 dort. |
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6 Postille von Fresenius |
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7 Friedrich Conrad Krüger,
geb. 16. Oktober 1772 im Falkenkrug, gest. 27. Januar 1834
in Langenholzhausen, April 1807 bis April 1826 Pastor in
Wüsten. |
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8 Arndt, Johann: Des
hocherlauchten Lehrers, Herrn Johann Arndts, weiland
General-Superintendenden des Fürstenthums Lüneburg, Sechs
Bücher vom Wahren Christenthum, welche handeln von heilsamer
Buße, herzlicher Reue und Leid über die Sünde. Nebst
beigefügtem Lebenslauf des sel. Herrn Autors, ingleichen
kurzen Gebeten nach jedem Capitel, Morgen- und Abendsegen
auf alle Tage in der Woche und nöthigen Registern nebst
dessen Paradiesgärtlein. |
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9 Marie Louise Jobstharde,
geb. Peitsmeier, geb. 29. Juli 1829 in Steinbrüntorf, gest.
12. Mai 1876 in Wüsten,
geheiratet 11. Mai 1851 in Valdorf |
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10 Wilhelmine Louise
Jobstharde, geb. Bonnemeier, geb. 11. Juli 1799 auf
Bonneberg Amt Vlotho, gest. 11. September 1872 in Wüsten. |
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