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Rittergut Steinbeck
   
   
   

Johann Heinrich v. Lengerke (1825 – 1906)
Politiker und Landtagspräsident




 

Herrensitz Schloss Gut Steinbeck.























































 

Das Kranken- und Siechenhaus,
das heutige Evgl. Stift zu Wüsten.

    Es war eine für das Land glückliche Fügung, dass ihm in der Zeit gefährlicher politischer Spannungen in der Person des Rittergutsbesitzers Dr. v. Lengerke auf Steinbeck und Schwaghof ein Mann geschenkt wurde, der, dem Kleinlichen der zu engen Heimatentrückt, für einen Ausgleich der die gedeihliche Fortentwicklung des Landes gefährdenden Gegensätze erfolgreich einzutreten wusste und dessen Verdienst es war, für eine Reihe von Jahrzehnten geordnete staatliche Grundlagen geschaffen zu haben.
Dr. v. Lengerke, geboren am 9. Januar 1825, war kein Lipper. Er kam aus Bremen und entstammte einer dort zu hohem Ansehen gelangten Patrizierfamilie. Auf dem Gymnasium der Vaterstadt, auf deutschen und ausländischen Universitäten und auf weiten Reisen im In- und Auslande wurde der Grund gelegt zu seiner das Durchschnittsmaß weit überragenden, im Klassizismus wurzelnden allgemeinen Bildung. Beruflich betätigte er sich
nur vorübergehend im bremischen Staatsdienste, zuletzt als Syndikus der Handelskammer. Schon 1864 schied er aus und erwarb in Lippe das Rittergut Steinbeck mit dem Schwaghofe, wo er jenen prächtigen Herrensitz schuf, der sich zu den schönsten des Landes rechnen darf. Dort lebte er seinen Neigungen an der Seite der ihm geistig ebenbürtigen Gattin aus dem Geschlecht des bekannten Bremer Bürgermeisters Smid. War Dr. v. Lengerke auch kein Lipper von Geburt, so wurde er in einem langen Leben mit dem Lande der Rose doch auf das innigste verbunden, und er betrachtete sich nicht nur als Grundherr auf Steinbeck, sondern auch geistig und politisch als dem Lande zugehörig. Anfang 1875 wurde er zum Vorsitzenden der Ritterschaft gewählt, wodurch er nach dem damaligen landständischen Verfassungs-Ausschuss Deputierter des Ersten Standes wurde. Als solcher hat er, tatkräftig unterstützt von anderen Mitgliedern der Ritterschaft, namentlich der Herren v. Kerßenbrock auf Barntrup und v. Borries auf Eckendorf, den Verzicht der Ritterschaft auf ihre bevorzugte, überlebte Ständevertretung herbeigeführt und dadurch die Grundlage geschaffen für das Wahlgesetz vom 3. Juni 1876, das dann bis nach dem [Ersten] Weltkrieg in Kraft geblieben ist. [Dreiklassenwahlrecht] Die Wähler der in diesem Gesetz gebildeten Klasse Ia erkoren ihn zu ihrem Abgeordneten, und der neue Landtag übertrug ihm das Amt eines Landtagspräsidenten. Dasselbe Vertrauen brachte man ihm bei den Neuwahlen von 1880, 84, 88, 92 und 96 entgegen, fast volle 25 Jahre! Im Jahre 1887, bei den Septennatswahlen um die Heeresverstärkung, wählten ihn die Lipper mit erdrückender Mehrheit auch in den Reichstag. Nicht nur aus der nationalen Wahlparole Bismarcks heraus, sondern auch, weil er im besten Sinne ein populärer, ein geachteter Mann war. Seine Persönlichkeit und seine politische Einstellung kennzeichnet am besten die Rede, welche er bei der Eröffnungsansprache des nach der Obstruktionspolitik und landtagslosen Zeit 1876 gewählten Landtags hielt. In ihr betonte er, daß es die Hauptaufgabe der Volksvertretung sein müsse, eine gerechte Besteuerung durchzuführen und die heranwachsenden Kräfte im Inlande, d. h. in Lippe, für das Wohl desselben zu erhalten. Der neue Landtag habe sodann, so führte er aus, Gesetze zu beraten, die den Anschluß des Landes an das Deutsche Reich mehr und mehr zu festigen hätten. Gerechtigkeit, soziales Pflichtgefühl gegen die breiten Massen, Mitleid mit dem Schicksal der Wanderarbeiter, kluges Erkennen der wirtschaftlichen Bedeutung der Arbeitskraft für das materielle Wohl des Staates, sprechen aus diesen Worten. Gedanken, die ihre Bedeutung behalten haben bis auf diesen Tag, um deren zunehmende Verwirklichung auch noch in unseren Tagen gerungen wird. Nicht weniger wohltuend berührt sein Bekenntnis zur Reichstreue und Reichsfestigung. Das war doppelt bedeutsam, weil seit den Tagen von Langensalza und Königgrätz, seit den dynastischen Tendenzen für Hannover und gegen Bismarck erst ein Jahrzehnt verflossen war. Der alte Dr. von Lengerke hat gerade auf diesem Gebiete eine wertvolle politische Arbeit geleistet und die landespolitische Führung jener Epoche zum Nutzen von Land und Reich im Sinne der Reichseinheit entscheidend beeinflußt. Er hat auch der friedlichen Entwicklung im Lande wertvolle Dienste geleistet. Die Gegensätze waren damals recht scharf, ja, sie waren unleidlich. Fortschrittler und Konservative standen sich ähnlich gegenüber wie in späteren Jahrzehnten Deutschnationale und Sozialisten. Dr. v. Lengerke stand in allen diesen Auseinandersetzungen in der deutschen Mitte. In ihr vertrat er den politischen und wirtschaftlichen Horizont der Hanseaten, seiner bremischen Heimat, - das Kleine und Kleinliche belächelnd, die Engstirnigkeit verachtend. So leitete er mit vorbildlicher Ruhe und Überlegenheit versöhnend und ausgleichend die hitzigsten Landtagsverhandlungen, führte er die Kampfgeister immer wieder auf die Plattform positiver Beschlüsse.

   Im Thronstreit, der in jenen Zeitläuften, von 1889 bis 1897, den politischen und parlamentarischen Brennpunkt bildete, verfocht er die Rechtsansprüche der Biesterfelder. Nicht so ungestüm wie Oskar Asemissen, sondern mit sachlicher Zähigkeit und treuer persönlicher Anhänglichkeit an den alten Graf-Regenten. Unter der verfassungswidrigen Ausschaltung der Landtagsrechte durch den 1895 verstorbenen Fürsten Woldemar hat Dr. v. Lengerke nicht weniger gelitten, wie unter der von Berlin aus versuchten Einmischung in den Erbfolgestreit. Als sich Graf Ernst, erklärlich und begreiflich, hiergegen aufbäumte, als er ernstlich erwog, dem Prinzregenten Adolf den Einzug in Lemgo und die Huldigung der Landstände und der Städte entgegenzustellen, die "illegitime" Regierung in Detmold mit der legitimen der nächstberechtigten erbherrlichen Linie Biesterfeld von Lemgo aus zu beantworten, da hat Dr. v. Lengerke hiervon doch entschieden abgeraten und die Anrufung der Entscheidung des unter dem Vorsitz des Königs Albert von Sachsen stehenden Schiedsgerichts den für Reich und Land, für Kaiser und Fürst würdigeren Ausweg durchgesetzt. So bewährte sich auch in dieser Frage seine Mäßigung und Versöhnung, auch in ihr zeigte er staatspolitische Größe.

   In dem ihm beschiedenen Vierteljahrhundert aktiver lippischer Politik hat er unserer lippischen Heimat wertvolle Dienste geleistet. Sein Wirken war auch für die Heimatgemeinde Wüsten von Segen. Auch den kleinen Sorgen gegenüber zeigte er sich aufgeschlossen, und auch im persönlichen Leben betätigte er die Grundsätze öffentlichen Wirkens. So stiftete er bei einer Familienfeier ein Kapital zur Errichtung eines Kranken- und Siechenhauses in Wüsten; auch darin ein Vorbild für viele. Im Jahre 1900 zog er sich, 75-jährig, vom öffentlichen Leben ganz zurück. Als der fast 82jährige am 10. November 1906 die müden Augen für immer schloß, und die sterblichen Reste unter den alten Buchen seines herrlichen Parks beigesetzt wurden, da bewies die einmütige Beteiligung der Politiker aller Richtungen und vieler anderer, die außerhalb des Landtages mit ihm hatten arbeiten dürfen, daß die allgemeine Wertschätzung dieses verdienten Mannes auch während seiner stillen Zurückgezogenheit keinen Abbruch erlitten hatte.    


Quellen: Staercke, Max (Hrsg.): Menschen vom lippischen Boden. Verlag der Meyerschen Hofbuchhandlung, Detmold 1936.