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Die Kirchenorgel

Wüsten, 9. Sept[ember 1878]. Gestern feierten wir hier ein schönes und seltenes Fest, es wurde nämlich die neue, durch Herrn Orgelbauer Klaßmeier zu Kirchheide erbaute Orgel feierlich eingeweiht. Wie in manchen Gemeinden des Landes, so hatte sich auch hier das Bedürfniß geltend gemacht, die alte Orgel die zur Hebung des Kirchengesanges nicht mehr viel beitragen konnte, durch eine neue zu ersetzen. Sicher wäre diesem Bedürfnisse eher Rechnung getragen, wenn nicht die Gemeinde in den letzten 15 Jahren durch den Bau eines neuen Thurmes die Anschaffung von drei neuen Glocken und die Anlage eines neuen Friedhofes sehr bedeutende Kosten gehabt hätte, so daß an eine neue Orgel nicht eher gedacht werden konnte, bis die alten Schulden getilgt waren. Kaum war dies geschehen und aller Widerspruch überwunden, so wurde auch vom Kirchenvorstande ohne langes Zögern der Beschluß zur Beschaffung einer neuen Orgel gefaßt. Die Wahl des Orgelbauers war nicht schwer. Herr Klaßmeier zu Kirchheide, der durch den Bau mehrerer Orgeln bewiesen hatte, daß er Meister seiner Kunst ist, genoß hier einstimmiges Zutrauen und ohne langes Wählen wurde ihm der Bau der neuen Orgel übergeben, und bei der Revision, sowie gestern bei der Einweihung hat es sich gezeigt, daß Herr Klaßmeier das ihm geschenkte Vertrauen glänzend gerechtfertigt hat. Er hat eine Orgel geliefert, die ihm alle Ehre macht und mit der sicher auch der gewaltige Tadler der Schleifladen und große Orgelkundige aus Schlangen zufrieden sein würde, wenn er sie einmal hörte. Die Orgel ist wahrlich ein Meisterwerk und es erregen, um nur weniges anzuführen, die beiden Register Aroline und Posaunen, die Bewunderung aller Kenner. Zwar gibt es größere Orgeln im Lande,  ̶  diese hat 19 klingende Register,  ̶  aber eine vollkommenere wohl kaum.

Da man allgemein der Einweihung mit Sehnsucht entge-gen sah, war die Betheiligung auch eine außerordentlich große. Auch aus den Nachbargemeinden strömten die Leute zahlreich herbei, und die Kirche war daher so  gedrängt voll, wie es nur bei besonderen Festlichkeiten der Fall ist. In der Kirche waren Orgel und Altar mit Blumen und Kränzen sehr geschmackvoll und freundlich geschmückt.

Herr Pastor Schmidt von hier hielt die Einweihungs-predigt über Psalm 100 und Herr Pastor Krücke aus Salzuflen die Festpredigt über Col. 3, 16., welche beide vortreffliche Predigten mit großer Aufmerksam angehört wurden. 

Altes Foto des Innenraumes der Wüstener Kirche.

Doch die Hauptsache war es, die Orgel zu hören, und Herr Cantor Wolf von Warburg, der früher 9 Jahre lang hier im Dienst stand, zufällig anwesend war und der die Orgel vortrefflich zu handhaben versteht, befriedigte diese Sehnsucht der harrenden Menge in vorzüglichster Weise. Als die mächtigen Accorde des Einleitungs-Präludiums zu dem Liede: "Dir, Dir, Jehovah will ich singen" duch die Räume der Kirche dahinbrausten, waren sicher alle mit der Leistung der Orgel zufrieden. Die Macht und Gewalt derselben, die bei aller Fülle dennoch einen schönen, runden Ton hat, war fast überwältigend, und nur in seltenen Fällen wird sie ihre ganze Macht entfalten dürfen. Möge nun die neue Orgel viele Jahre ihren Zweck erfüllen und zur Belebung des Kirchengesanges und der kirchlichen Gesinnung beitragen.

Die alte Orgel war im Jahre 1718 von dem Orgelbauer Klasing in Herford zu einem Preise von 180 Thlr. erbaut worden.


Quellen: Lippische Landes-Zeitung 12. September 1878 Nr. 214. (Digitalisat der Lippischen Landesbibliothek.)
  Dank an Reiner Zurheide, der das Kirchenfoto zur Verfügung stellte.
  Dank an Herrn Hibbeln, Detmold, der mich auf diesen Zeitungsartikel aufmerksam machte.