Eins
hat Salzuflen allen lippischen und benachbarten
Städten voraus: es besitzt nicht nur in Bildern und
archivalischen Nachrichten, sondern in Wirklichkeit
einen alten Wachturm, den sogenannten Stumpfen Turm,
2½ km vor der Stadt an dem alten Kärrnerpfad zur
Weser, auf der Grenze der Bauerschaft Unterwüsten
gelegen. |
Über
sein Alter und seine Entstehung können nur
Mutmaßungen angestellt werden. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass hier, oberhalb des großen
Gestringer Feldes (1368: Gestinghen), wo die alte
Straße bei der Überquerung des Fierenbergausläufers
ihren höchsten Punkt erreicht, einmal die kleine
Herrenburg Gestinghen gestanden hat, die nach einer
Urkunde vom 9. April 1312 die Brüder Bernhardus,
Alexander und Ewhardus Topp aus der Hand des Edlen
Herrn Simon (I.) und seines edlen Vasallen Hermann
de Wendt zu Lehen genommen haben. Solche kleinen
Wohnburgen waren schon Ende des 14. Jh. sehr
selten und unbedeutend geworden; ja, es kann
angenommen werden, dass die Burg Gestinghen wie
andere Wendtsche Burgen in der Mindenschen Fehde
1368 schon wieder zerstört worden und dann nicht
wieder aufgebaut worden ist.1 |
Auf
diese Weise könnte an die Stelle des alten, wuchtigen
Wehrturmes dann von Salzuflen ein Wachtturm gesetzt
worden sein, der, wenn er auch keinerlei Einrichtungen
zur Selbstverteidigung besaß, der aufblühenden Stadt
eine gute Fernsicht zur Überwachung der
Handelsstraße gestattete. Denn schon 1322 war
Salzuflen ein fester Platz mit Bürgermeister,
Magistrat und städtischer Gerichtsbarkeit, der auf
seine Sicherheit wohl bedacht sein mußte. |
Spätestens ist der "Stumpfe Turm" im Zuge der
Stadtbefestigung nach der Zerstörung von 1447 gebaut
worden. In dem noch vorhandenen Konzept der
Stadtrechtsverleihung von 1488 wird den Uflern vom
Landesherrn zuerkannt, "dat se sich mit orer buwet
an thorne, müren, porten de beth vorsettin moigen",
das heißt weiter fortsetzen mögen. Zu den "thorne"
(=Türmen) gehörten dann also nicht nur die drei
Festungstürme in der Stadtmauer, sondern auch mit
diesen in Sicht- und Hörverbindung stehende
Wachtturm bei Steinbeck, von dem aus das Gelände
jenseits des Höhenzuges weithin eingesehen werden
konnte. |
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Der
Stumpfe Turm an der alten Vlothoer Straße. |
Was
sagt uns die noch vorhandene Turmruine über die
einstige Beschaffenheit des Wachtturmes? Heute
[1960] hat der aus Sandstein errichtete Rundturm
noch eine eine Höhe von 7,50 m. Da er schon i. J.
1634 der "Stumpfe Turm" hieß, also seit wenigstens
325 Jahre unbedacht ist, dürfen wir eine
ursprüngliche Höhe von vielleicht 10 m annehmen. Die
Wandstärke beträgt unten 90 cm, der Umfang 13,80 m.
Der Turm hat einen äußeren Durchmesser von 4,40 m,
während der innere Raum 2,60 m weit ist. Im Innern
des Mauerwerkes befinden sich einige Öffnungen, die
als Balkenauflage gedient haben, nämlich zwei in
2,20 m und drei in 5,20 m Höhe. Vielleicht hat eine
Wendeltreppe im Turm hinaufgeführt, deren Spindel
bis zur Spitze des flachen Kegeldaches gereicht hat.2 |
In der
Höhe der genannten Mauerlöcher wird diese Treppe je
einen Podest gehabt haben, von wo aus der Wächter
Ausschau halten konnte. Die beiden Sehschlitze sind
14 cm breit und 45 cm hoch. Der untere Ausguck lenkt
den Blick zur alten Windmühle bei Exter, also
dorthin, wo die alte "via regia" die
Verbindungsstraße Rehme - Schötmar, die Steinegge
überquerte 3; auf ihr mögen auch in der
Mindener Fehde die Heerhaufen herangezogen sein, was
man bei Erbauung des Turmes wohl noch in Erinnerung
hatte. Durch den oberen Ausguck blickt man die
Handelsstraße entlang, die über den Sunderschling
nach Vlotho führte. Im Blickfeld dieser Turmluke
liegt gerade der Solterberg, an dem diese
Kerrnerstraße vorbeiführte. |
An der
Seite des Fahrweges ist das Gemäuer unten
abgeflacht; hier ist sicherlich an den Turm ein
Wachhäuschen angebracht gewesen für die Mannschaft,
die von der Stadt zum Wachdienst abgestellt war.
Denn einen Turmhof hat der Ufler Wachtturm nie
gehabt. Der nächste Hof war der zu Steinbeck, im 14.
Jh. genannt "Stenbeke bi der Solte", und der ist
niemals im Städtischen Besitz gewesen. |
Im
Dreißigjährigen Krieg ist der Turm dann zerstört
worden, vermutlich, als im November 1633 eine
Abteilung Kaiserlicher einen Überfall auf die in der
Stadt liegenden Schweden unter Oberst Brunnecker
ausübte. Damals wird von dem angebauten Wächterhause
nichts übrig geblieben sein; die Pforte zum Turm,
sowie Gebälk und Treppe im Innern sind gleich dem
Dache in Flammen aufgegangen. Schwanold hat am Boden
noch Ziegelscherben als Überreste des einstigen
Daches entdeckt. |
Aus den
folgenden 240 Jahren hören wir außer gelegentlichen
Erwähnungen, zum Beispiel bei Grenzbegehungen,
nichts von dem Turm. |
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Der
Stumpfe Turm um 1900. |
Mit dem Gutsbesitzer
von Lengerke, der das Rittergut Steinbeck erworben
hatte, und der Stadt Salzuflen kam es zu einer
Differenz. Eine kleine Waldparzelle von 2,8 Qu.
Ruthen 4, die links über den zur
Waldemeine führenden Hohlweg hinüberreichte und den
Stumpfen Turm mit einschloß, war irrtümlich von
Herrn von Lengerke als sein Eigentum betrachtet und
mit Birken bepflanzt worden. Der Sadtförster Fr.
Deppe schlug 1872 der Stadt vor, diese Parzelle mit
einer gleich großen Fläche zwischen dem sogenannten
Kuhstalle an der Loose und der Bleiche am Kaspohl zu
vertauschen. Der Stumpfe Turm jedoch und 2 m rund um
den selben sollten städtisches Eigentumbleiben. Ein
Tauschvertrag in diesem Sinne wurde dann auch 1873
abgeschlossen; die Setzung von vier Grenzsteinen
rund um den Turm erfolgte 1884. |
Nach dem 1.
Weltkrieg wurde die alte Vlothoer Straße, die beim
Stumpfen Turm eine starke Steigung zu überwinden
hatte und bis fast zur Höhe des Turmes emporstieg,
bedeutend tiefer gelegt und zur Autostraße
ausgebaut. Damit hing das enorme Anwachsen der
Steinbecker Sandgrube zusammen. Schließlich war der
Wald um den Turm völlig abgeholzt und das Gelände
nach Süden und Westen so tief eingeschürft, dass man
1948 mit dem baldigen Einsturz der Ruine rechnen
mußte. Landeskonservator und Verschönerungsverein
hielten damals das Schicksal des Stumpfen Turmes für
besiegelt und empfahlen, die Ruine abzureißen und an
anderer Stelle wieder aufzubauen. |
Ein treuer Freund
der lippischen Heimat , Dr. K. M., Lemgo, erklärte
jedoch eine solche Maßnahme als historische
Verfälschung und riet dringend davon ab. Den
vereinten Bemühungen von Verwaltungsstellen,
Vereinen und einzelnen Persönlichkeiten, nicht
zuletzt des Landeskonservators für Westfalen, Prof. Rave, ist es dann gelungen, dieses einzigartige
Denkmal verflossener Zeiten noch in letzter Stunde
vor dem Einsturz zu bewahren. Neuerdings ist auch
der Eingang vermauert und der Kranz losen Gesteins
am oberen Rande wieder mit Mörtel gefestigt.
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Wir erinnern
uns der mahnenden Worte des unvergessenen
Heimatforschers Heinrich Schwanold:
"Deine
Zeit ist um, du altersgrauer Turm, aber du
sollst nicht zerbröckeln und verschwinden!
Auch Du bist ein Denkmal unserer Zeit. - Wir
ehren dich als ihren Zeugen, der uns von ihr
erzählt!" |
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Otto
Pöhlert, Stadtarchivar |
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Der „Stumpfe Turm“ in den 1940er oder frühen 1950er
Jahren. Die Eingangsöffnung war noch nicht
zugemauert und die Stelle, wo einmal das
Wachhäuschen angebaut war, läßt sich noch gut
erkennen.5 |
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Die
Steinbecker Sandgrube dicht unterhalb des Stumpfen
Turms.6
"Schließlich war der Wald um den Turm völlig abgeholzt und das Gelände
nach Süden und Westen so tief eingeschürft, dass man
1948 mit dem baldigen Einsturz der Ruine rechnen
mußte." |
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