Die Rote Ruhr: bei Menschen eine - bis
Ende des 19. Jahrhunderts - meist epidemisch durch den
Dysenteriebazillus auftretende Infektionskrankheit, die sich
besonders in einer Entzündung der Dickdarmschleimhaut
äußert. Die Ruhrbazillen ähneln den Typhusbazillen. Die
Verbreitung der hauptsächlich bei mangelnder Hygiene in den
Sommermonaten auftretenden Erkrankung erfolgt durch
Berührung mit den bazillenhaltigen Stuhlentleerungen;
Übertragung durch Hände, Wäsche, Fliegen, infiziertes Wasser
oder Nahrungsmittel. Die Krankheit beginnt mit einem
scheinbar harmlosen Durchfall. Später werden die
Leibschmerzen heftiger und die Stuhlentleerungen nehmen an
Häufigkeit zu (über 30 und mehr in 24 Stunden). Die geringen
Mengen an entleertem Darminhalt sind durchsetzt mit eitrigem
blutigem Schleim. Die Schmerzen nehmen an Heftigkeit zu,
hinzu kommt Fieber und höchste Entkräftung. Es entwickeln
sich im Darm Geschwüre, die fast die ganze Schleimhaut
zerstören und die Darmwand durchbrechen. Die Rote Ruhr
führte häufig zum Tod der Erkrankten.
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Über die hygienischen Verhältnisse am
Ende des 18. Jahrhunderts in unserer Gegend wissen wir nicht
besonders viel. Erst 100 Jahre später prangert Dr. med.
Ulrich Volkhausen (uns allen besser unter seinem Pseudonym
Korl Biegemann bekannt) als in Schötmar niedergelassener
Arzt und am 1. Januar 1894 bestellter Physikus (frei
übersetzt "Amtsarzt") mit Sitz in Schötmar, die hygienischen
Verhältnisse in unserm Gebiet scharf an. 100 Jahre zuvor,
dürften sie nicht besser gewesen sein. |
"Unter den sogenannten alten Kötterhäusern findet man Räume,
in welche die Bauern ihr Vieh einzustellen genieren würden,
für Ihre Leute aber für gut genug halten. Dunkle Löcher mit
Lehmboden, ohne feste Decken, die Kammern nur durch ein
sogenanntes Lett erleuchtet. Die Keller werden durch Gruben
repräsentiert, die sich unter dem Bette befinden, in welchen
Kartoffeln, Rüben usw. lagern. Hierin entwickeln sich eine
Unmasse Pilze, Dunst und Moder. Wenn man nun bedenkt, daß
Vater, Mutter und viele Kinder in einem solchen Raume
schlafen, so ist es mehr wie ein Wunder, daß nicht viel
häufiger Seuchen ausbrechen."
und weiter:
"In der kleinen Küche halten sich die Insassen ...
den ganzen Tag auf; zusammen mit Hund und Katze. Die
Ausdünstung dieser vielen mischt sich dann mit dem täglichen
Koch- und Kohlendunste, so daß der Aufenthalt kein
beneidenswerter ist. ... Die Aborte sind gewöhnlich in den
Ställen, meist in den Schweineställen, auf dem Lande über
oder an den Dunggruben. Hierin werden auch die
Haushaltungsabfälle und -wässer, sofern sie nicht wieder im
Viehhaushalt Verwendung finden, geleitet ..." |
In seinen
Physikatsberichten an die Hochfürstliche Regierung
brandmarkt er auch die unsauberen Brunnen, die häufig
in
unmittelbarer Nachbarschaft der
Dunggruben stehen, und Bäche, die sowohl zur
Abfallbeseitigung als
auch zur Trinkwasserentnahme
dienten.
Diese alle waren die Brutstätten des Ruhrbazillus. |
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Immer wieder gab es seit der
Aufzeichnung der Sterbefälle in unseren Wüstener
Kirchenbüchern (1671) die Todesursache "Rothe Ruhr". Zu
einer größeren Epidemie ist es aber nie gekommen. Erst 1796
brach sie in einer bis dahin nicht gekannten Heftigkeit aus.
In zweieinhalb Monaten raffte sie knapp 60 (57) Wüstener
Einwohner dahin. Ungeachtet des Standes und des Alters
erkrankten die Menschen in Wüsten an dieser seuchenartigen
Epidemie und viele von ihnen starben. |
Sterbedatum |
Name – OW=Oberwüsten, UW=Unterwüsten |
Alter |
14. September |
Anne Marie Lambracht auf Albertsmeiers Hofe in
UW |
19 Jahre, 6 Monate |
19. September |
Hermann Friedrich Kruse in Sundern in UW |
8 Jahre, 9 Wochen |
20. September |
Anne Margrethe Althof auf Iggensen Hofe in UW |
64 Jahre, 6 Monate |
22. September |
Wilhelmine Sophie Schemmel in UW |
1 Jahr, 14 Tage |
22. September |
Johann Christoph Eikermeier auf Schemmels Hofe |
9 Jahre, 9 Monate |
23. September |
Johann Otto Alber auf Schuckmanns Hofe Nr. 2 in
UW |
14 Jahre 9 Monate |
25. September |
Anne Luise Henriette Brand |
5 Jahre, 3 Monate |
26. September |
Anne Marie Elisabeth Jobst Harde in UW |
10 Monate |
26. September |
Franz Henrich Adolph zur Heide |
5 Jahre |
27. September |
Johann Otto Hüdepohl (Anerbe) in UW |
16 Jahre, 9 Monate |
28. September |
Anne Sophie Luise Schalk und Friederike Luise
Schalk
aus dem Sunderschlinge Nr. 49, UW |
4 Jahre, 8 Monate |
28. September |
2 Jahre, 6 Monate |
29. September |
Hanß Henrich Reetemeier, auf Kegelbernds Stätte
UW |
4 Jahre, 6 Monate |
29. September |
Anne Luise Broer, auf der Wüstenbeke in UW |
46 Jahre |
29. September |
Anne Elisabeth Bruningsmeier (Leibzüchterin) in
OW |
74 Jahre |
30. September |
Anne Cathrine Elisabeth Wienböker |
1 Jahr, 10 Monate |
30. September |
Elisabeth Albert |
9 Jahre, 15 Wochen |
30. September |
Töns Henrich Johann Jobst Wattenberg |
4 Jahre, 3 Monate |
1. Oktober |
Fiederike Luise Göner von der Krutheide in UW |
3 Jahre 9 Monate |
2. Oktober |
Johann Otto Broer, auf Deppen Hofe Hellerhausen
UW |
10 Jahre, 5 Monate |
2. Oktober |
Johann Henrich Remmert |
15 Jahre 2 Monate |
3. Oktober |
Johann Henrich Klocke, auf Jobstmeiers Hofe in
UW |
35 Jahre |
3. Oktober |
Anne Elisabeth Rauchschwalen |
1 Jahr, 22 Wochen |
4. Oktober |
Simon Henrich Tölle, auf Raschen Hofe in OW |
2 Jahre, 10 Monate |
4. Oktober |
Anne Margrethe Engelkenmeiers in UW Nr. 12 |
60 Jahre |
5. Oktober |
Johann Henrich Meise al. Schwinschenmeier in UW |
2 Jahre, 6 Monate |
6. Oktober |
Wilhelmine Luise Meise, Tochter des Untervogt |
24 Wochen |
6. Oktober |
Anne Marie Luise Reetmeier, auf Brinkmeiers
Hofe,UW |
3 Jahre, 3 Monate |
7. Oktober |
Henrich Philipp Stuckmann |
37 Wochen |
8. Oktober |
Philipp Henrich Tielke, Bei Buschmeier Nr. 47 in
OW |
15 Jahre, 7 Monate |
8. Oktober |
Johann Christoph Meise od. Schwinschenmeier, UW
|
44 Jahre, 6 Monate |
10. Oktober |
Anne Luise Wüstenbecker |
10 Jahre, 9 Monate |
10. Oktober |
Anne Elisabeth zur Heide al. Henrichsmeier |
18 Wochen, 6 Tage |
10. Oktober |
Anne Marie Luise Schwein in UW |
1 Jahr, 23 Wochen |
11. Oktober |
Anne Luise Cathrine Wilhelmine Klemann in UW |
16 Jahre, 4 Monate |
12. Oktober |
Anne Sophie Hansmeier, OW Nr. 58 |
4 Jahre, 9 Monate |
13. Oktober |
Johann Hermann Reetmeier auf Brinkmeiers Hofe UW |
22 Jahre |
14. Oktober |
Cathrine Elisabeth Scheiper im Langenberge in UW |
7 Jahre |
14. Oktober |
Anne Cathrina Arnings auf Brands Hofe in UW Nr.
37 |
73 Jahre |
15. Oktober |
Anna Marie Luise Wüstenbecker |
11 Monate |
18. Oktober |
Anne Cathrine zur Heide auf Raschen Hofe in OW |
43 Jahre |
19. Oktober |
Anne Marie Ilsabein Büscher |
8 Jahre, 11 Monate |
21. Oktober |
Johann Jobst Beiner, auf der Krutheide UW Nr. 50 |
34 Jahre |
22. Oktober |
Margrethe Ilsabein Klocke im Krautkruge UW Nr.
32 |
69 Jahre |
24. Oktober |
Anna Ilsabein Müßemeier, UW Nr. 34 |
64 Jahre, 6 Monate |
25. Oktober |
Anna Sophie Elisabeth Rasche, OW Nr. 4 |
45 Jahre, 9 Monate |
26. Oktober |
Anne Marie Deppe, UW Nr. 30 |
1 Jahr, 5 Monate |
31. Oktober |
Johann Jobst Beiner, Leibzüchter, UW Nr. 50 |
62 Jahre 1½ Monate |
1. November |
Anne Cathrine Ilsabein Göner, Nr. 50 in OW |
28 Jahre, 2 Monate |
2. November |
Anne Cathrine Elisabeth zur Heide a. Kochmeiers
Hofe |
5 Jahre, 5 Monate |
3. November |
Anne Marie Luise Kruthöfer im Langenberge in UW |
1 Jahr, 11½ Monate |
4. November |
Friedrich Wilhelm Scheiper im Langenberge in UW |
4 Jahre, 5 Monate |
4. November |
Bartold Henrich Hofmann auf Göners Hofe in OW
|
5 Jahre, 10 Monate |
8. November |
Johann Henrich Tielke auf Schuckmanns Hofe, UW
|
19 Jahre, 7 Monate |
8. November |
Friederike Henriette Brand auf Steinsiekers Hofe
OW |
2 Jahre, 7 Monate |
23. November |
Anne Ilsabein Hofmeister auf Hofmeisters Hofe in
UW |
81 Jahre, 6 Monate |
27. November |
Johann Christoph Althof, Meier in Pehlen in UW |
41 Jahre, 11 Monate |
|
"Die erste, an der Krankheit dies Jahr, wo sie im August
anfing - gestorben"
schreibt Pastor Köhler als
Bemerkung unter der Todesursache der noch nicht
zwanzigjährigen
Anne Marie Lambracht auf Albertsmeiers Hofe in
Unterwüsten. Fast jedes Jahr gab es in den
Sommermonaten ein paar Todesfälle mit der Ursache "Rothe
Ruhr" Ahnte er schon, dass er in der nächsten Zeit viele
Grabreden zu halten habe? |
Es ist nicht nur die hohe Anzahl
von Gestorbenen sondern es sind auch die Einzelschicksale,
die selbst nach über 200 Jahren noch betroffen macht. Die
jüngste war gerade einmal 5 Monate, die älteste über 81
Jahre als sie von dieser heimtückischen Krankheit
dahingerafft wurden.
–
Die Bäuerin
Anne Margrethe Engelke[nmeiers],
die nach 8 Wochen schwerer Krankheit - ohne schmerzstillende
Medikamente - an der
Roten Ruhr
am 4. Oktober 1796 mit 66 Jahren starb.
–
Die
Anne Luise Cathrine Wilhelmine Klemann in
Unterwüsten, die im Alter von 16 Jahren und 4 Monaten starb
und der Pastor seinem Eintrag ins Kirchenbuch hinzusetzte:
"NB. aus Geitz war das Kind vernachläßiget".
– Oder am 1.
Oktober, wo Johann Henrich Berend Schalk aus dem
Sunderschlinge und Anne Ilsabein Mügge gleich zwei ihrer
jungen Töchter, die an einem Tag gestorben waren, begraben
lassen mussten. Pastor Köhler schreibt: "... das
älteste Mägdlein hieß Anna Sophie Luise, das jüngste Mädchen
Friederike Luise. Beide starben an einem Tage an neuer
Krankheit. Kamen in einen Sarg und in eine Grube."
–
Johann Henrich Tielke, Sohn des
Johann Otto Tielke und der Anna Luise Goner, Einlieger auf
Schuckmanns Hofe in Unterwüsten Nr. 2,
starb mit 19 Jahren und 7 Monaten. "Der
Mensch kam zwey Tage vorher gesund und stark aus Holland wo
er gearbeitet wurde gleich angesteckt starb nach 11 Tagen".
– Am 21. Oktober 1796
starb mit 34 Jahren Johann Jobst Beiner Kolon auf der
Krutheide Nr. 50. Am 31. sein Vater Johann Jobst Beiner, der
Leibzüchter mit 62 Jahren. "Kam zuletzt, als der
älteste in der Kuhstätte",
kommentiert Pastor Köhler.
–
Johann Christoph Althof, Meier
in Pehlen Nr. 33 starb am 27 November 1796. |
Meier Althof war der letzte, der
bei dieser Epidemie zu Tode kam. Erst viele Jahre später
trat diese Seuchenkrankheit in Einzelfällen in Wüsten wieder
auf. Aber schon 1799 und 1800 breitete sich eine neue Seuche
in unserem Dorf aus. Die Blattern!
Pastor Johann Dietrich Gerhard Siegmund Köhler (1792-1805),
wie er mit vollem Namen hieß, haben wir es zu verdanken,
dass wir etwas mehr über die Verstorbenen erfahren haben. Er
kommentierte neben den nüchternen und vorgeschriebenen
Eintragungen die eine oder andere Begebenheit, die uns ein
wenig Einblick in diese Zeit gibt. |
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