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Der Grabhügel von Wüsten-Hellerhausen[1]

Leo Nebelsiek, Detmold

   Der Landwirt Stratemann[2] in Unterwüsten-Waldemeine, der ein lebhaftes Interesse an der Geschichte seines Heimatdorfes nimmt, machte mich eines Tages auf einen flachen Hügel in einer Ackerflur des Wüstener Ortsteiles Hellerhausen aufmerksam. Es handelte sich offensichtlich um einen vorgeschichtlichen Grabhügel, der in Gefahr war, durch die Ackerwirtschaft völlig zerstört zu werden.

Der flache Grabhügel von Wüsten-Hellerhausen.

   Der Hügel lag in Unterwüsten - Meßtischblatt 2083 Herford-Ost - westlich von dem Ortsteil Hellerhausen, 60 Meter östlich der Weggabelung[3] bei Punkt 116,3 in der Ackerparzelle 218/83 "Das Lange Holz". Das Feldstück senkt sich hier sanft nach W gegen ein kleines Quelltal[4]. Der hier ehemals vorhandene Wald wurde in den Jahren 1920 bis 1922 gerodet und urbar gemacht. Nach Mitteilung des Herrn Stratemann pflanzte der alte Meier-Johann[5] in den 1870er Jahren einen doppelten Ring Fichten um den Hügel, "da dort ein Herzog oder König begraben liege".

Ausschnitt aus dem Meßtischblatt 2083, Herford Ost
aus den 1930er Jahren.

   Bei der Urbarmachung wurde der Grabhügel oberflächlich abgetragen. Mit den anfallenden Erdmassen füllte man eine im S dicht an dem Hügel vorbeistreichende Erosionsrinne. Dabei sollen mehrere Urnen zutage gekommen sein, über deren Verbleib jedoch nichts näheres mehr zu ermitteln ist. Die Untersuchung wurde im Anschluß an die Grabung[6] auf dem benachbarten Flurstück "Hühnerbrink" im Spätsommer 1935 mit vier Arbeitern durchgeführt.
   Schon nach dem Wegräumen der hier nur 20 bis 25 Zentimeter dicken Ackerkrume zeigten sich zahlreiche Steine, die einen 8½ Meter im Durchmesser haltenden Ring bildeten. Nach Aussage des Pächters Fritz Bünte und seines Gespannführers ist hier jedes Jahr bei der Bestellung eine Anzahl Steine ausgepflügt worden.
   Die Grabung wurde in der Weise weitergeführt, dass ein nach allen Seiten etwa 2 Meter über den Steinring hinausgreifendes Planum schichtweise tiefer gebracht wurde, unter Aussparung zweier sich in der Mitte kreuzender Profilbänke, die von N nach S und von W nach O ausgerichtet waren. Der hier anstehende steinfreie Lößlehm begünstigte ein sauberes Arbeiten sehr.

Die Ausgrabungsstelle nach dem Wegräumen der Ackerkrume.
Im Hintergrund die alte Waldemeine-Siedlung. Ansicht von NO.

   Um Dicke und Beschaffenheit der Ringpackung festzustellen, wurde im SO ein 1,2 Meter breiter Graben von außen her gegen die Packung geführt. Dabei stießen die Ausgrabenden auf eine zweite Steinsetzung, die - wie sich später herausstellte - dem Hauptringe sichelförmig vorgelagert war. Die Lücken in den Ringen sind ursprünglich nicht vorhanden gewesen; die fehlenden Steine wurden bei der Urbarmachung oder beim Pflügen herausgehoben. Ihre Standspuren ließen sich auf dem Planum deutlich als dunkle, mit Humus angefüllte Gruben nachweisen.

Der Grabhügel von Wüsten-Hellerhausen.
Grundriß und Schnitt W-O.

   Beide Ringe sind sehr sorgfältig angelegt. Als Material dient fast ausschließlich nordische Geschiebe, überwiegend Granite von einfacher bis vierfacher Kopfgröße. Im N und WNW war die Steinsetzung offensichtlich beim Roden teilweise zerstört worden. Zu erwähnen sind noch mehrere kleine "Ausbauten", die sich im SO und NO an die Ringpackungen schlossen. Trotz sorgfältiger Untersuchung konnte in ihnen nichts festgestellt werden, was Rückschlüsse auf ihre Zweckbe-stimmung – etwa zur Aufnahme von Nachbestattungen oder dgl. – zuließe.
   Im SSO fand sich unter dem Hauptringe in einer Tiefe von 60 Zentimeter eine etwa 1½ Meter lange und 1 Meter breite verfärbte Stelle, hellgrau mit schwarzen Flecken, die – nur wenige Zentimeter dick – vorwiegend aus vermodertem Holz bestand. Dazwischen lagen einige Stückchen Holzkohle.
   An mehreren Stellen wies das Planum weitere, meist kleinere Verfärbungen auf, die von ähnlicher Beschaffenheit waren. Die auffallendste lag im SW-Sektor, nahe an der Mittellinie W -O. Sie war in 60 Zentimeter Tiefe 3 Meter lang und 1,50 Meter breit. Beim Tiefergehen löste sie sich in zwei gesonderte Stellen auf, deren Mittelpunkte in 85 Zentimeter Tiefe 60 Zentimeter voneinander entfernt waren. Zuletzt lagen zwei kinderkopfgroße Mulden vor, die den gewachsenen Boden eingetieft und mit einer sehr weichen, porösen grauen Erde ausgefüllt waren. Gleichartige Erscheinungen wurden im NO-Sektor, hart an den Steinen des Hauptringes sowie im NW-Sektor festgestellt.

Ringpackung mit sichelförmigem Vorbau
Ansicht von O.

Sich in der Mitte kreuzende Profilbänke.
Blick in den NO-Sektor.

   Eine auffallende Beobachtung erregte schon bald nach Beginn der Grabung meine Aufmerksamkeit. Bereits in einer Tiefe von 20 Zentimeter hob sich auf dem sauber gemachten Planum eine ringförmige Zeichnung ab, hellgrau bis weiß, die 20 bis 30 Zentimeter breit war und mit einem Durchmesser von 4 bis 4½ Meter die Mitte der Anlage umzog. Beim Tieferlegen des Planums vergrößerte sich der Durchmesser der Verfärbung, bis diese auf dem gewachsenen Boden unter der Ringmauer ihr Ende fand. Im SW-Sektor waren zeitweise 2 bis 3 konzentrische Kreisstücke zu sehen. Auch in der sichelförmigen Erweiterung der Anlage fand sich ein gleichartiges Stück eines solchen Ringes. In den tieferen Lagen ging die grau-weiße Farbe meist ziemlich unvermittelt ins Schwarze über. Deutlich zeigten die senkrechten Schnitte an den Profilbänken die nach außen hin abfallende Richtung der Verfärbung.

Teilstück des Hauptringes im SW-Sektor.

   Als das Planum überall bis auf eine Tiefe von 85 bis 90 Zentimeter unter die heutige Oberfläche niedergebracht war, hob sich eine länglich runde graue Stelle schwach gegen den braunen gewachsenen Lehm ab. Sie lag im NNW hart an der Ringpackung und hatte einen Durchmesser von 2,50 Meter in Richtung von W nach O und 2,30 Meter von N nach S. Gegen Mitte des Hügels lag dicht daneben eine dunkle Stelle von ähnlicher Beschaffenheit wie die im SO-Sektor.
   Beim schichtweisen Tieferlegen des Planums verschwand die nur wenige Zentimeter dicke dunkle Verfärbung sehr bald, während die helle bei kleiner werdendem Durchmesser blieb. Die weitere Untersuchung ergab, dass es sich um eine Grube handelte, deren Wand im NW fast senkrecht, nach SO hin weniger steil einfiel. Um einen Schnitt zu bekommen, wurde zunächst die Osthälfte vorsichtig ausgeräumt, dann auch die Westhälfte. Die Sohle lag 1,85 Meter unter der heutigen Oberfläche, 95 Zentimeter unter dem Steinringe.

Die Stelle der Hauptbestattung.
Schnitt W - S und Schnitt W - O.

   Die muldenförmige Grube war mit Steinen angefüllt, in der Mehrzahl Granite und andere nordische Geschiebe; dazwischen lagen einige Brocken unseres heimischen Keupersandsteins. Die Steine hatten im Durchschnitt Kopfgröße, einige jedoch waren erheblich stärker, der größte maß 50x40x35 Zentimeter. Die Lücken zwischen den Steinen waren mit grauer, etwas sandiger Erde ausgefüllt, in der sich 5 Flintstückchen, einfache Absplisse sowie schwache Spuren vermoderten Holzes fanden.
   Östlich an die Grube schließend war eine aus 4 größeren und mehreren kleinen Steinen bestehende Packung angelegt, unter der 3 Absplisse und eine 5 Zentimeter lange feine Klinge aus Feuerstein lagen. Allem Anschein nach ist die geschilderte Grube die Stelle der eigentlichen  Bestattung. Ob der Hügel noch weitere Bestattungen enthalten hat, als deren Reste vielleicht die Stellen anzusehen wären, die durch die auffallend poröse Erde gekennzeichnet sind, ließ sich nicht mehr feststellen. 

   Mehrfach wurden bei der Grabung Gefäßscherben gefunden. In den oberen Schichten und dort, wo gerodet war, auch in tieferen Lagen, ließen sie sich ohne Schwierigkeiten mit einer cheruskerzeitlichen Siedlung des ersten Jahrhunderts n. Chr. Geb. in Beziehung bringen. Diese Siedlung lag noch nicht 100 Meter nach W, jenseits eines schmalen Quelltälchens. Die Scherben sind ohne Zweifel bereits in der Vorzeit von dort nach dem Grabhügel verschleppt worden[7]. Auch in den ungestörten Teilen des Hügelkörpers kamen hie und da einzelne Scherben zum Vorschein; sie waren jedoch atypisch und geben somit keine Aufschlüsse über Alter und Kulturzugehörigkeit der Anlage.

   Zu klären bleibt noch die oben beschriebene ringförmige Verfärbung. Berücksichtigt man, dass bei der Urbarmachung 1922 die Hügelkuppe bereits um rund 1 Meter abgetragen wurde, dass ferner durch die feldmäßige Bewirtschaftung der Hügel immer mehr auseinandergepflügt worden ist, so wird wahrscheinlich, dass die Verfärbung früher nach oben hin in eine Spitze oder Kuppe ausgelaufen ist und somit die Gestalt eines flachen Kegels gehabt hat.

   Bei der Frage nach der Entstehung dieser Erscheinung denkt man naturgemäß zunächst an eine frühe Hügeloberfläche, deren Pflanzendecke nach einer später erfolgten Aufhöhung des Hügels die Verfärbung hervorgerufen haben könnte. Dem widerspricht aber, dass die Verfärbung in keinem Falle über die Steinringe hinausgreift. Eine Deutung sei durch folgende Überlegung versucht. Nachdem die Erbauer der Grabanlage einen Hügel von flacher Kegelgestalt aufgehäuft hatten, deckten sie ihn mit Grassoden, Stroh oder Rohr. So entstand ein kegelförmiges Dach, das unten durch die steinerne Ringpackung abgestützt wurde. Zum Schluß wurde das Ganze noch wieder mit einem Mantel aus Erde überdeckt.

   Dass ringförmige Steinsetzungen bei Grabhügeln der Bronzezeit als Reste von Grabhäusern anzusehen sind, darauf hat Prof. Stieren, Münster, bereits vor Jahren hingewiesen[8]. Das an ein Rundzelt ohne Tragpfosten erinnernde Grabhaus von Hellerhausen würde den Baugewohnheiten des westischen Kulturkreises der jüngeren Steinzeit entsprechen[9], dessen Einflüsse sich in unserem Lande bislang nur in Einzelfunden – Steinbeilen – nachweisen ließen.

   Wie wir gesehen haben, hat die Grabung von Hellerhausen keinerlei datierende Fundstücke geliefert. Trotzdem können wir durch Vergleich mit ähnlichen Anlagen unseren Hügel in die jüngere Steinzeit[10] setzen. Hier sei besonders auf einen Grabhügel hingewiesen, der in einer jungsteinzeitlichen Hügelgruppe bei Hamma, Kreis Stade, untersucht wurde[11]. Auch dort bildete die Stelle der Hauptbestattung – ein typisches "Untergrab" – eine tiefe, steilwandige Grube, die mit Findlingen angefüllt war. Ungewöhnlich bleibt indessen bei unserem Hügel vorläufig die Lage der Bestattung unmittelbar an der Ringpackung.


Quellen: 1 Ausgrabungen in Lippe von 1933 bis 1936 unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiten in Wüsten aus Mitteilungen aus der Lippischen Geschichte und Landeskunde Band XVI. Detmold, xxx, S. xxxff.
  2 Friedrich August Stratemann geb. Buschmeier, * 1. März 1873 † 3. Mai 1969, Kolon des Hofes Unterwüsten Nr. 36, 
  3 Nach den Straßenbaumaßnahmen Anfang der 1990er Jahre, ist die Trassenführung heute eine andere.
  4 Durch die Erdbaumaßnahmen in Folge der neuen Straßenführung ist dieses kleine Quelltal nahezu eingeebnet.
  5 Friedrich Philipp Gustav Meier-Johann * 2. April 1850 † 14. Juli 1880, Kolon des Hofes Unterwüsten Nr. 4.
  6 Die Ausgrabung der Siedlung auf dem Hühnerbrink wurde im Jahre 1935 durchgeführt. Siehe 1
  7 ebd.
  8 A. Stieren in der Zeitschrift Westfalen (Bodenaltertümer 1925 bis 1928) Seite 29.
  9 Werner Radig, Der Wohnbau im jungsteinzeitlichen Deutschland. Mannus-Bibliothek Nr. 43, Seite 37.
  10 Die Jungsteinzeit (Neolithikum) ist eine Epoche der Menschheitsgeschichte, deren Beginn mit dem Übergang von Jäger- und Sammlerkulturen zu sesshaften Bauern mit domestizierten Tieren und Pflanzen definiert ist. (Wikipeda)
  11 K. Kersten in Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte. Hannover 1934, Seite 92 ff.